Prof. Dr. Harald Schenk © Fraunhofer IPMS

Interview mit Prof. Dr. Harald Schenk - Eine neue Generation von Mikroaktoren

Interview mit Prof. Dr. Harald Schenk, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS und Professor für Mikro- und Nanosysteme an der Brandenburgischen Technischen Universität BTU Cottbus-Senftenberg.


Prof. Dr. Harald Schenk leitet die im Jahr 2012 neu gegründete Fraunhofer-Projektgruppe MESYS – Mesoskopische Aktoren und Systeme. Sechs Mitarbeiter entwickeln und erproben eine völlig neue Art von leistungsfähigen Aktoren auf Siliziumsbasis. Die Projektgruppe ist an zwei Standorten aktiv: in Dresden und in Cottbus an der Brandenburgischen Technischen Universität BTU Cottbus-Senftenberg. Prof. Dr. Harald Schenk erklärt im Interview, wie aus der grundlagenorientierten Forschungsarbeit marktreife Produkte, zum Beispiel für die Pharma- oder auch Unterhaltungsindustrie, entstehen sollen.

Kurzporträt

Das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS mit Sitz in Dresden bietet Zugang zu Wissen, Erfahrung und modernster Forschungsinfrastruktur auf dem Gebiet optischer Sensoren und Aktoren, ASICs und Mikrosysteme (MEMS sowie MOEMS). Rund 300 Mitarbeiter sind am IPMS beschäftigt. Das Institut deckt einen großen Bereich industrieller Anwendungen ab. Das Leistungsangebot reicht von der Konzeption über die Produktentwicklung bis zur Pilotserienfertigung in eigenen Labor- und Reinräumen. Entwickelt werden sowohl einzelne Bauelemente als auch komplette Systemlösungen. Mehr als die Hälfte des jährlichen operativen Aufwands von rund 32 Millionen Euro wird durch Vertragsforschung aus der Industrie gegenfinanziert. Mit dem Geschäftsfeld Center for Nanoelectronic Technologies CNT stehen seit 2013 Leistungen in den Bereichen Nano- und Mikroelektronik mit funktionalen elektronischen Materialien, Prozessen und Anlagen, Device & Integration, maskenloser Lithographie sowie Analytik bereit.

Interview

optiMST: Im Oktober 2012 ging unter Ihrer Leitung die Fraunhofer-Projektgruppe „Mesoskopische Aktoren und Systeme“ in Kooperation mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg an den Start. Was ist das Ziel von MESYS?

Prof. Schenk: In der Fraunhofer-Projektgruppe MESYS entwickeln und erproben wir eine völlig neue Technologie für elektrostatische Aktoren. Wir nutzen Elektroden auf Siliziumtechnologiebasis und sind in der Lage, bei sehr geringen Elektrodenabständen eine große Auslenkung der Mikroaktoren zu erreichen. Die Elektrodenabstände liegen im Nanometerbereich, die Auslenkung dagegen im Mikrometerbereich. Die bei MESYS entwickelten Aktoren können mit geringen Spannungen arbeiten. Das macht sie leistungsfähiger als die bisherigen Aktoren aus herkömmlichen mechanisch-elektroaktiven Materialien. Die grundlagenorientierte Arbeit der Projektgruppe wird über eine Förderung durch das Land Brandenburg von etwas mehr als drei Millionen Euro finanziert. Die Förderung läuft bis Ende 2017. Bis dahin wollen wir den Nachweis erbringen, dass unsere Leistungen und Ergebnisse von der Industrie als so wertvoll erachtet werden, dass wir gemeinsam an der Entwicklung neuer Produkte arbeiten können.

optiMST: Wo sehen Sie Anwendungsmöglichkeiten der neuen Generation von Mikroaktoren?

Prof. Schenk: Das Anwendungsfeld ist groß. Der Einsatz unserer Mikroaktoren ist unter anderem in der Messtechnik, in der Optik oder auch in der Medizintechnik möglich. Wir haben uns entschieden, die weitere Entwicklungsarbeit zunächst auf zwei Bereiche zu fokussieren. Das sind zum einen Lautsprecher, beispielsweise für Smartphones oder Hörgeräte. Mikromechanische Lautsprecher können prinzipiell sehr kostengünstig hergestellt werden, sind aber auf dem Markt noch nicht verfügbar, weil die Aktoren nicht den notwendigen Membranhub erzielen. Die Folge: Bässe zum Beispiel können nicht richtig wiedergegeben werden. Die Alternative wäre der Einsatz mehrerer Aktoren aus unserer Entwicklung, die jeweils für unterschiedliche Frequenzen genutzt werden. Für jede Frequenz bräuchten wir eine Kammer von der Größe von lediglich 200 Mikrometer. Das ist die Größe von sieben Haaren, die nebeneinandergelegt werden. Wir hatten im Anwendungsbereich der Akustik schon Kontakt zu Firmen, die uns bestätigt haben, dass die Industrie sehr interessiert ist an Lösungen auf Siliziumbasis.
Zum anderen sehen wir einen großen Innovationsbedarf auf dem Markt der Mikrofluidik. In der Pharmazie, der chemischen Industrie oder auch der Biomedizin muss mitunter mit kleinsten Probemengen bei der Analyse gearbeitet werden. Dafür werden Mikroventile und Mikropumpen genutzt. Deren feinmechanische Herstellung ist sehr kostenintensiv und der Antrieb der Ventile braucht eine hohe Leistung. Da ist der mikro-elektrostatische Ansatz vielversprechender.

optiMST: Wie genau funktioniert Ihre Alternative?

Prof. Schenk: Wir ätzen auf die Oberfläche von Siliziumscheiben eine Art Dachstruktur ein – viele Minidreiecke, die wie aneinandergereihte Dächer aussehen. Darauf sitzt der Dachstruktur folgend die obere Elektrode, die von der unteren Elektrode nur einzelne Hundert Nanometer entfernt ist. Wird jetzt eine Spannung angelegt, wirken anziehende Kräfte auf die obere Elektrode. Diese ist jedoch relativ steif und lenkt sich kaum aus. Es entsteht aber auf der Oberfläche eine mechanische Spannung, die zum Beispiel einen kleinen Balken verbiegen kann. Das heißt, wir nutzen gar nicht mehr die Bewegung der Elektrode selbst, sondern die Kraft der Elektrodenanziehung für die Auslenkung. Die Auslenkung können wir in die gewünschte Richtung steuern.

optiMST: MESYS ist ein Kooperationsprojekt zwischen der BTU Cottbus-Senftenberg und dem Dresdener IPMS der Fraunhofer-Gesellschaft. Wie teilen sich die Arbeiten zwischen den Standorten und Partnern auf?

Prof. Schenk: Zu MESYS gehören sechs Mitarbeiter – zwei sind in Dresden beschäftigt und vier in den Laboren an der BTU in Cottbus. In Dresden wurde die Technologie entwickelt, hier haben wir auch Zugriff auf Arbeitsplätze im hochmodernen Reinraum. In Cottbus an der BTU werden die Aktoren für ihre jeweiligen Einsätze evaluiert und charakterisiert. Zwei-, dreimal in der Woche sind wir per Videokonferenz miteinander in Kontakt.

optiMST: Warum wurde gerade Cottbus in Brandenburg als zweiter Standort gewählt?

Prof. Schenk: Wir haben hier durch das Land eine sehr gute Förderung bekommen. Außerdem habe ich die Möglichkeit, über meine Stiftungsprofessur für Mikro- und Nanosysteme an der BTU in Kontakt mit Studenten zu kommen, die uns bei der Arbeit an den Aktoren weiterbringen können. Es ist unser erklärtes Ziel, die Projektgruppe MESYS so weit auszubauen, dass aus ihr eine Außenstelle des Fraunhofer IPMS wird mit 20 oder mehr Mitarbeitern. Außerdem wollen wir für mindestens einen Anwendungsbereich der Aktoren eine Ausgründung aus der Forschung auf den Weg bringen. Es wäre schön, wenn wir diese Ausgründung in Brandenburg ansiedeln könnten. Aber jetzt sind wir erst einmal auf der Suche nach Kooperationspartnern.

optiMST: Wo genau sehen Sie sich nach Partnern um?

Prof. Schenk: Mir ist es wichtig, den Versuch zu unternehmen, mit Firmen aus der Region Brandenburg und Berlin zu kooperieren. Dafür wollen wir alle möglichen Kanäle nutzen wie die Technologietransferstelle an der BTU oder auch die Netzwerke der ZukunftsAgentur Brandenburg ZAB. Es geht mir darum, unsere Aktoren in ein Produkt unser Industriepartner zu bringen. Das ist doch auch das Reizvolle an der anwendungsorientierten Forschung bei Fraunhofer. Speziell am IPMS stoppen wir nicht bei der Entwicklung des Prototypen. Wir unterstützen aktiv die Markteinführung eines neuen Produktes. Bis zur Pilotfertigung von kleinen Serien ist alles möglich. Allerdings ist auch klar, dass bis zur kommerziellen Nutzung unserer Aktoren höhere Investitionen in die Produktentwicklung erforderlich sind. Da muss man sehen, wer sich das für welchen Markt leisten kann. Die Technologie entwickelt vor allem dann ihre Vorteile, wenn es um qualitativ sehr hochwertige Produkte geht oder aber um Märkte mit einem großen Volumen.

Das Interview führte Dr. Ute Sommer


Zur Person

Harald Schenk, Jahrgang 1971, hat in Würzburg Physik studiert. 1997 ging er nach Dresden und reichte schon zwei Jahre später seine Dissertation im Fachgebiet Elektrotechnik (Fokus: Mikrosystemtechnik) ein. Am Dresdner Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS übernahm er 2002 die Leitung der Abteilung „Mikroaktuator Systeme und Technologie“. 2004 wurde er stellvertretender Institutsleiter. 2012 dann brachte er die Projektgruppe MESYS an den Start und hat seither auch die Professur für Mikro- und Nanosysteme an der Brandenburgischen Technischen Universität BTU Cottbus-Senftenberg inne. Prof. Dr.-Ing. Dr. rer. nat. habil. Harald Schenk leitet seit dem Jahr 2013 gemeinsam mit Prof. Dr. Hubert Lakner das IPMS in Dresden.


Kontakt

Prof. Dr. Harald Schenk


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Fakultät 1
Fachgebiet Mikro- und Nanosysteme
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