Die große Karriere der Mikroaktoren

Eine Projektgruppe der BTU Cottbus-Senftenberg und des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS geht ganz neue Wege bei der Entwicklung von elektrostatischen Mikroaktoren.

Das Objekt der Stunde null, das Stück, mit dem alles anfing, hat Prof. Dr. Harald Schenk schnell bei der Hand: ein kleiner Kasten, handtellergroß. Unter einer durchsichtigen Kuppel schimmert ein Mini-Spiegel, der aus einem Silizium-Wafer geschnitten ist. Prof. Dr. Schenk legt einen Schalter um und gibt Spannung auf den Spiegel. Der beginnt zu schwingen: „Genau 250-mal in der Sekunde“, erklärt Prof. Schenk. Der Mikroaktor aus Silizium setzt elektrische Spannung zuverlässig in mechanische Bewegung um.


Prof.Prof. Dr. Schenk zusammen mit einem Mitarbeiter/&nbsp Fraunhofer IPMS

Seit etwa 15 Jahren beschäftigt sich der Physiker Schenk mit elektrostatischen Aktoren auf Siliziumbasis. Jetzt leitet er die sechsköpfige Fraunhofer-Projektgruppe Mesoskopische Aktoren und Systeme MESYS – eine Kooperation der Brandenburgischen Technischen Universität BTU Cottbus-Senftenberg und des Dresdner Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS. In Cottbus und Dresden treiben die Wissenschaftler die Entwicklung der Mikroaktoren voran. Sie sind inzwischen so weit, dass die stationäre Auslenkung ihrer Aktoren größer ist als der Abstand zwischen den Elektroden. „Die Elektrodenabstände liegen im Nanometerbereich, die Auslenkung dagegen im Mikrometerbereich“, erläutert Prof. Schenk. Die Spannung, mit der gearbeitet wird, ist deutlich niedriger als bei herkömmlichen Aktoren. Das macht die Entwicklung der Projektgruppe MESYS besonders leistungsfähig. Und auch der gefürchtete Pull-In-Effekt, der bei bisher üblichen elektrostatischen Aktoren auftritt, wird vermieden.

Hinter der Neuentwicklung steht ein Verfahren, das für die stationäre Auslenkung gar nicht mehr die Bewegung der Elektrode an sich nutzt, „sondern die Kraft der Elektrodenanziehung“, wie Prof. Schenk erklärt. Dafür wird die Oberfläche eines Siliziumbalkens mit einer Art Dachstruktur versehen. Eine regelmäßige Folge von mikroskopisch kleinen dreieckförmigen Strukturen wird in die Oberfläche geätzt. Dabei ist die obere Schicht, die als Elektrode fungiert, durch einen nur wenige hundert Nanometer großen Luftspalt von dem Siliziumbalken getrennt. Sobald eine Spannung angelegt wird, wirken anziehende Kräfte auf die Elektrodenoberfläche. Sie verändert ihre Länge und auf den Balken darunter wirkt ein Biegemoment. Die untere Elektrode wird ausgelenkt. „Mit geeignetem Design ist jede beliebige Bewegung möglich“, betont Prof. Schenk.
Der Physiker, der an der BTU die Professur für Mikro- und Nanosysteme innehat und in Dresden zur Leitung des Fraunhofer IMPS gehört, sieht jetzt die Zeit gekommen, die Neuentwicklung der brandenburgisch-sächsischen Kooperation in marktreife Produkte zu überführen. Im Herbst des vergangenen Jahres veröffentlichten die MESYS-Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse im Wissenschaftsmagazin „Nature“. In den sozialen Medien sei ein großes Interesse an den Ideen deutlich geworden, berichtet der Uniprofessor. Es habe viele Rückfragen und Kommentare gegeben. Das sei erst der Anfang, meint Prof. Schenk.


Das Anwendungsfeld für diese neue Technologie sei sehr groß. „Der Einsatz unserer Mikroaktoren ist unter anderem in der Messtechnik, in der Optik oder auch in der Medizintechnik möglich“, so Prof. Schenk. Bewegliche Spiegel, die als Scannerspiegel genutzt werden können, lassen sich zum Beispiel bei Mikroskopen, Endoskopen oder 3D-Kameras im Miniaturformat einsetzen. Vorteil der scannenden Verfahren mit kleinen Spiegeln ist zum einen ihre minimale Baugröße. Zum anderen ist es die Tiefenschärfe bei Kombination mit Lasern. Das Fokussieren auf unterschiedliche Abstände entfällt.
Zunächst aber wollen sich die MESYS-Forscher auf zwei Einsatzbereiche konzentrieren: die Mikrofluidik und die Entwicklung von hochwertigen Miniaturlautsprechern oder auch Hörgeräten. „Wir suchen Märkte mit einem großen Innovationsbedarf, für die unsere Entwicklung Alleinstellungsmerkmale hat“, sagt Prof. Schenk.


LaborLabor von Prof. Dr. Schenk an der BTU Cottbus-Senftenberg/&nbsp Dr. Ute Sommer

Im Bereich der Mikrofluidik, wo häufig mit kleinsten Mengen von Substanzen in der Analyse gearbeitet werden muss, könnte die MESYS-Entwicklung für die Produktion von Mikropumpen und -ventilen genutzt werden. Die derzeit übliche feinmechanische Herstellung dieser Bauteile hat den Nachteil großer Totvolumina, so dass teure Substanzen verschwendet werden. Für Mikropumpen auf Siliziumbasis gibt es laut Prof. Schenk bisher nur ein einziges Angebot. Da sieht er Chancen für die eigene, leistungsstärkere Entwicklung.
Auch bei der Produktion von Lautsprechern gebe es attraktive Marktlücken. Die Lautsprecher in Smartphones werden noch immer feinmechanisch hergestellt, weil die heute verfügbaren Aktorprinzipien vor allem zu Schwächen in der Wiedergabe von Bässen führten. Das würde mit den MESYS-Aktoren nicht passieren.

„Es geht uns darum, die richtigen Partner zu finden“, sagt der Projektgruppen-Leiter. Er weiß aus den ersten Kontakten mit Lautsprecherproduzenten, dass die Firmen sehr an solchen neuen Lösungen interessiert sind. Prof. Schenk rechnet damit, dass bis zur kommerziellen Nutzung der neuen Technologie rund eine Million Euro an Investitionen nötig sind. Eventuelle Industriepartner würden allerdings auch von den Vorteilen der beiden MESYS-Standorte profitieren. In den Cottbuser Laboren werden die Aktoren evaluiert und für ihre Einsätze charakterisiert. Die Ausstattung der Labore ist über eine Finanzierung durch das Land Brandenburg abgesichert. In Dresden hat die Projektgruppe Zugriff auf modernste Forschungsinfrastruktur wie Arbeitsplätze im Reinraum. Prof. Schenk: „Als Fraunhofer-Projektgruppe machen wir den Firmen ein klares Angebot.“ Die Zusammenarbeit ende nicht etwa bei der Fertigung eines Prototypen. Die Markteinführung werde intensiv unterstützt – bis hin zur ersten kleinen Serienproduktion in Form einer Pilotfertigung. Dadurch, dass für die neuen elektrostatischen Aktoren Siliziumscheiben genutzt werden, können sehr viele Bauelemente gleichzeitig produziert werden.

Prof. Schenk ist es wichtig, „den Versuch zu unternehmen, mit Firmen aus der Region Brandenburg und Berlin zu kooperieren“. Sein Ziel: „Unsere Aktorik soll Einzug in ein Produkt halten.“ Auf lange Sicht peilt der BTU-Professor und Leiter des Fraunhofer-IPMS für mindestens einen Anwendungsbereich eine Ausgründung aus der Projektgruppe an. „Es wäre schön, wenn wir diese Ausgründung in Brandenburg ansiedeln könnten“, sagt Prof. Dr. Harald Schenk.

Portrait von Dr. Ute Sommer

&nbsp

Kontakt

Prof. Dr. Harald Schenk
Brandenburgische Technische Universität BTU Cottbus-Senftenberg
Fakultät 1
Fachgebiet Mikro- und Nanosysteme
Postfach 10 13 44
03013 Cottbus

Telefon: +49 355 69 24 41
E-Mail: harald.schenk@ipms.fraunhofer.de
Internet: www.tu-cottbus.de


Fraunhofer IPMS
Maria-Reiche-Straße 2
01109 Dresden

Telefon: +49 351 8823-154
E-Mail: harald.schenk@ipms.fraunhofer.de
Internet: ipms.fraunhofer.de