Interview mit Prof. Dr. rer. nat. Martin Schell, Institutsleiter Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI und neuer Sprecher des Cluster Optik und Photonik Berlin-Brandenburg

„In der Optik und Photonik ist Berlin-Brandenburg hinter dem Silicon Valley und der Tokio-Region sicher schon auf Platz zwei oder drei weltweit.” - Prof. Dr. rer. nat. Martin Schell im optiMST-Interview über die Potenziale des Standortes.

Interview

optiMST: Herr Professor Schell, Sie sind im Oktober zum neuen Vorstandsvorsitzenden des OpTecBB und zum Sprecher des Berlin/Brandenburg-Clusters Optik und Photonik ernannt worden. Wie schätzen Sie die Arbeit des Clusters in den letzten Jahren und den aktuellen Stand der Optik-Branche in Berlin-Brandenburg ein?

Der Cluster Optik und Photonik in Berlin und Brandenburg hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Dafür möchte ich insbesondere meinem Vorgänger, Herrn Professor Tränkle, herzlich für die letzten sechs Jahre seiner tatkräftigen Arbeit danken. Er hat es in der Anfangszeit geschafft, der Optik und Photonik in Berlin einen Raum zu geben, der die Sichtbarkeit der Branche in der Region deutlich verbessert hat. Das hat uns sehr weiter geholfen. International weiß die Branche inzwischen, welche Bedeutung der Standort Berlin hat.

Ein großer Erfolg für den Standort ist auch die Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland, die Anfang des Jahres 2017 vom Bundesministerium für Forschung ins Leben gerufen wurde. Von den 350 Millionen Euro, die bei diesem Projekt in Mikroelektronik und Photonik investiert wurden, sind 110 Millionen in Berlin und Brandenburg eingesetzt worden.

Mit dem IHP Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik, dem Ferdinand-Braun-Institut, dem Fraunhofer IZM und dem Fraunhofer HHI wird diese Summe zu einem sehr großen Teil für photonische Technologien eingesetzt.

opitMST: Wie schätzen Sie die Entwicklung in den nächsten 5-10 Jahren ein? Bei welchen Themen wächst die Bedeutung, was sollte angepackt und befördert werden?

Die Optik und Photonik war in großen Teilen von der optischen Datenübertragung im Internet getrieben. In den nächsten Jahren werden viele Themen dazu kommen, die wie zum Beispiel die Quantentechnologien optisch basiert sind. In selbst fahrenden Autos wird es optische Sensorik geben, die noch zu entwickeln ist. In der personalisierten Medizin gibt es medizinische Sensorik mit optischen Technologien. All das sind Themen, in denen sehr viel geforscht und entwickelt werden muss und ich denke, dass der Berlin-Brandenburger Cluster da sehr gut positioniert ist.

opitMST: Welche Themen im Cluster sollten Ihrer Meinung nach weitergeführt werden und wo können Dinge noch verbessert werden?

Die Arbeit im Cluster Optik und Photonik in Berlin und Brandenburg funktioniert sehr gut, wir haben noch Entwicklungsspielraum in Richtung Öffentlichkeitsarbeit und Webauftritt. Weiterhin müssen wir neue Themen wie zum Beispiel die Quantentechnologie eingliedern und in unserer Arbeit berücksichtigen. Ansonsten freue ich mich sehr, auf der erfolgreichen Arbeit von Professor Tränkle aufsetzen zu können.&nbsp

optiMST: Wie können Politik und Verwaltung eine positive Weiterentwicklung der Branche in der Region befördern?

Wir sind dankbar für die Unterstützung aus Politik und Verwaltung, die wir in den letzten Jahren bekommen haben. Insbesondere bei der Ansiedlung von Unternehmen würden wir uns aber über noch transparentere und schnellere Verwaltungsprozesse freuen. Ein Beispiel ist die Ansiedlung eines Start-ups vor ein paar Jahren, bei der der Termin für eine Brandschutzbegehung in zwei Monaten angesetzt wurde. Zwei Monate Stillstand bei Innovationszyklen von zwei bis drei Jahren sind für ein Hochtechnologie-Start-up ein zu langer und zu wichtiger Zeitraum. Glücklicherweise konnte dann aber unkompliziert geholfen werden.

Ein wichtiger Anziehungspunkt für Unternehmen der Optik und Photonik ist die hohe Dichte passender Forschungseinrichtungen und Universitäten in der Region. Hier könnte eine bessere Profilbildung und Abgrenzung die Sichtbarkeit und Orientierung für Unternehmen verbessern. Weiterhin sind die Berufungszeiten für Professoren zu lang angelegt - es kann heute bis zu drei Jahren dauern, bis ein Wissenschaftler zur Berufung kommt. Viele exzellente Kandidaten haben in dieser Zeit Angebote von anderen Institutionen und entscheiden sich dann gegen Berlin.

optiMST: Stichwort Wissenstransfer - die Überführung von Forschungsergebnissen in die kommerzielle Praxis. Wie können Patente, Produkte, Unternehmen und Mitarbeiter am Standort gehalten werden? Gibt es ein vorbildhaftes Beispiel aus der Praxis?

Durch die Verbandsarbeit von OpTecBB gelingt es interessierten Wissenschaftlern schon sehr früh, Kontakt zu Mitarbeitern aus der Wirtschaft zu bekommen. Hier werden schon früh Verbindungen hergestellt, die es später einfacher machen, Marktchancen zu evaluieren oder Partner für eine Kommerzialisierung zu finden. In Berlin hat sich darüber hinaus das Fraunhofer Leistungszentrum für digitale Vernetzung gegründet, dass es als eine seiner wesentlichen Aufgaben sieht, bei der wirtschaftlichen Verwertung von wissenschaftlichen Themen zu unterstützen.

Ein gutes aktuelles Beispiel aus der Berliner Praxis ist das Start-up Sicoya, die an der Kommerzialisierung der Silizium-Photonik arbeiten. Das Projekt ist an der TU Berlin entstanden und hat den Sprung aus der Wissenschaft in ein Start-up geschafft.

opitMST: Die Digitalisierung sehr vieler Lebensbereiche ist weltweit ein zentrales und sehr bedeutendes Zukunftsthema. Wie schätzen Sie die Rolle der optischen Technologien und der Photonik ein und welche Potenziale und möglichen Projekte sehen Sie für die Region?

Digitalisierung und Photonik ist nicht auf Datenübertragung per Glasfaser beschränkt. In der 3-D Sensorik werden zum Beispiel Objekte für die Qualitätskontrolle oder die Replikation digitalisiert. Im 3-D Printing werden mit Hilfe von scannenden Lasern mittlerweile sogar schon im Konsumerbereich Objekte erstellt. Dem selbstfahrenden Auto kann man sich nur mit einer Digitalisierung der Umwelt nähern - zum Beispiel mit Hilfe des optischen Radars LIDAR. Glasfasern für die Datenübertragung können heute – das ist vielen Menschen unbekannt – mit vergleichbar einfachen Mitteln abgehört werden. Dies kann mit optischen Mitteln verhindert oder wenigstens detektiert werden. In ferner Zukunft steht möglicherweise ein Quantencomputer, der basierend auf Photonik die heutigen Rechner deutlich übertrifft.
Ich denke, mit der hohen Dichte und Breite an Forschung und der Landschaft von etwa 400 KMU´s ist Berlin sehr gut in diesen Feldern positioniert. Vielleicht kommt ja der zukünftige Weltmarktführer für eines dieser Themen aus Berlin.

opitMST: Internationale Attraktivität des Standortes für Unternehmen und Mitarbeiter: Wie attraktiv ist der Standort und was kann unternommen werden, dies weiter zu verbessern und mehr Unternehmen und Mitarbeiter anzulocken?

Ich denke, dass der Standort Berlin-Brandenburg in der Optik und Photonik hinter dem Silicon Valley und der Tokio-Region schon auf Platz zwei oder drei rangiert. Die internationale Sichtbarkeit ist schon recht gut, auch durch die Unterstützung von Berlin Partner bei den Messeauftritten mit den Gemeinschaftsständen. Die Stände sind auf den Fachmessen bekannt und werden gerne besucht. Sie verhelfen zu einer Sichtbarkeit und Attraktivität, die ein einzelner Partner so nicht erreichen würde.

Ein grundsätzliches Problem sehe ich zum Beispiel in meiner eigenen Disziplin - der Datenübertragung - dass wir hier in Deutschland keinen Heimatmarkt haben. Jeder neue Service, der über das Internet angeboten wird, verbraucht in der Regel höhere Datenraten als der Alte. So gehen viele Firmen lieber in ein Land, in dem 80 oder 90 Prozent der Menschen an schnellem Internet angebunden sind. Da sind wir in Deutschland nur auf Platz 25 in der Welt. Wenn Sie die 10 größten Internetunternehmen auflisten - da ist kein deutsches Unternehmen dabei. In der Vergangenheit hat das schlechte Datennetz in Deutschland hauptsächlich die Endverbraucher betroffen. Mit Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge werden mehr und mehr Maschinen mit Maschinen über das Internet Daten austauschen, mit deutlich höheren Ansprüchen an Geschwindigkeit und Latenz. Das schlechte Datennetz in Deutschland kann damit zu einem echten Standortnachteil für klassische deutsche Industrien werden. Wenn mich jemand fragt, wie er sein Unternehmen auf die Digitalisierung vorbereiten kann, empfehle ich immer, eigenständig für eine Glasfaseranbindung zu sorgen. Dies ist ein Prozess, der ein bis zwei Jahre dauern kann und Warten auf die Initiative der Telekomunternehmen halte ich nicht für besonders vielversprechend.

opitMST: Was wünschen Sie sich persönlich?

Schnelleres Internet in Deutschland!

Das Interview führte Markus Wabersky

Vita

Nach Stationen an der University of Tokyo, in der Managementberatung (Boston Consulting Group) und in der Industrie (Infineon Fiber Optics) leitet Martin Schell heute gemeinsam mit Professor Wiegand das Fraunhofer HHI in Berlin. Er ist Professor für Optoelektronische Integration an der TU Berlin, Vorstandsmitglied des European Photonics Industry Consortium EPIC, Vorsitzender des Vorstands des Branchenverbandes OpTecBB e.V., Mitglied des Board of Stakeholders der europäischen Technologieplattform Photonics21 und Mitglied des Public Policy Committees der Optical Society of America.

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Kontakt:

Prof. Dr. rer. nat. Martin Schell
Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik
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Tel. +49 30 31002-202