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Berliner Quanten-Community fliegt nach Amerika

Eine Delegation mit über 20 VertreterInnen aus Forschung, Wirtschaft und Verwaltung besuchte den World Quantum Congress sowie Firmen und Forschungseinrichtungen im Großraum Washington.

 

Selbst für erfahrene Delegationsteilnehmer war diese Reise etwas Besonderes. Fünf Tage in Washington und gefühlt ein Dutzend Highlights: Neben dem Quantum World Congress gab es Einblicke in die Grundlagenforschung (NIST), neue Satelliten bei der NASA und am Ende eine Firma, die Quantencomputer in Serie baut und betreibt (IonQ). Dazu kam ein intensiver Austausch in der Delegation aber auch mit der Berliner Politik (Wirtschaftsstaatssekretär Michael Biel), der deutschen Botschaft und der Außenhandelskammer. „Eine tolle Erfahrung“ kommentiert Markus Facklam, der bei Berlin Partner für die internationalen Kontakte verantwortlich ist. Sein Fazit ist rundherum positiv: „Diese Reise könnte tatsächlich zur Blaupause für zukünftige Delegationsreisen werden.“

Das Besuchsprogramm: Austausch auf Augenhöhe

Dass Berlin eine vielfältige Quanten-Community hat, ist eigentlich bekannt. Wie gut sie international aufgestellt ist, zeigte sich bei den verschiedenen Exkursionen. „Es freut einen schon, wenn man sowohl in vielen Forschungslabs als auch in der Fertigung bei IonQ unsere Laser sieht“ bemerkte Claus Heitman, CEO der Adlershofer TOPTICA EAGLEYARD. Ganz ähnlich sah es bei den mitreisenden Wissenschaftlern aus, die mit den amerikanischen Kollegen seit Jahren auf höchstem Niveau zusammenarbeiten.

Das höchste Niveau konnte man bei einem der ersten Treffen durchaus wörtlich nehmen: Der Chef des Washingtoner Büros der DLR, Marc Jochemich, zeigte der Delegation Optionen, um an amerikanischen Förderprojekten im Bereich der Raumfahrt teilzunehmen. Wichtig ist dabei die „Planetary Science and Astrobiology Decadal Survey 2023-2032“, die die Forschungsschwerpunkte für die nächsten 10 Jahre vorgibt. Berliner Forschungsgruppen sind schon heute zum Beispiel am Cold Atoms Lab auf der ISS beteiligt und werden die Zusammenarbeit noch ausbauen, wie Dr. Markus Krutzik vom Ferdinand-Braun-Institut am Rande bestätigte.

Das Treffen bei der DLR war auch eine gute Gelegenheit, um die Berlin Quantum Alliance in Amerika zu präsentieren. Die Professoren Jens Eisert (FU Berlin) und Arno Rauschenbeutel (HU Berlin) stellten die Berliner Initiative mit den entsprechenden Projekten und Fördermöglichkeiten vor.

In den Gesprächen mit Vertretern der Botschaft und der Außenhandelskammer zeichnete sich vor allem eins ab: Der limitierende Faktor bei einer Ansiedlung in Amerika ist in erster Linie die Verfügbarkeit von Fachkräften auf allen Ebenen.

Besuch am NIST

Das National Institute of Standards and Technology NIST ist ein Pendant zur deutschen Physikalisch-technischen Bundesanstalt, beide erarbeiten Standards in den verschiedenen technischen Bereichen. In Amerika hat das sogar Verfassungsrang, "...and fix the Standard of Weights and Measures!" heißt es in Section 8 der Constitution.

Die Delegation aus Berlin besuchte den Standort in Gaithersburg, wo 3.500 Angestellte arbeiten, von denen die Hälfte einen Abschluss in Physik oder Ingenieurswisssenschaften hat. Die Details der Aktivitäten in Gaithersburg füllen sicher Bände, für die Delegation gab es eine kurze Einführung und dann vier Führungen durch die Laboratorien mit dem Schwerpunkt Quantentechnologie. Der Vollständigkeit halber seien die vier Tourschwerpunkte hier genannt:

  • Nano fabrication user facility am Center for Nanoscale Science and Technology (CNST)
  • Quantum electro-mechanical metrology suite (QEMMS)
  • Quantum photonics emitters, Photonic Thermometry lab
  • Quantum networking

Neben den vielen Laboren hatte die Delegation aber auch Spaß, den Murmeltieren vor den Fenstern der Labore zuzusehen, die auf den Grünanlagen des NIST offenbar ein ziemlich ruhiges Leben führen.

Der Quantum World Congress

Die Region rund um Washington, DC, hat schon lange Hochtechnologien angezogen, inzwischen konkurriert sie mit den Regionen um Boston oder San Francisco. Im waldreichen Umland der US-Hauptstadt sitzen nicht nur NIST und NASA, hier ist nach Angaben eines lokalen Managers auch die weltweit größte Ansammlung von Rechenzentren mit insgesamt mehr als 15.000 Beschäftigten beheimatet. Die Region wird dabei als „DMV“ abgekürzt, was für "District of Columbia, Maryland, Virginia" steht. Der Quantum World Congress wurde vom Potomac Quantum Innovation Center organisiert, einer Initiative von Connected DMV. Viele hochrangige Sprecherinnen und Sprecher konnten direkt aus der Region gewonnen werden, aber auch von verschiedenen internationalen Organisationen.

Staatliche Institutionen wie die genannten NASA und NIST, das Verteidigungsministerium oder das Air Force Research Lab waren ebenso vertreten wie große Firmen (ibm, EY, Boeing, JP Morgan Chase uva.) und natürlich Quantenfirmen wie IonQ, Q-CTRL, oder Infleqtion. Im internationalen Forum diskutierten mehr als 90 Vertreter aus 16 Staaten Ideen zur Kommerzialisierung von Quantentechnologien. Die Berliner Delegation verteilte sich auf die verschiedenen Vorträge und kam dann zu einer gemeinsamen Pitch Session wieder zusammen. Parallel dazu hatte Berlins Staatssekretär für Wirtschaft Michael Biel erste Ansiedlungsgespräche. Die Delegation hatte davor und danach Gelegenheit, sich mit ihm und Berlin Partner CEO Dr. Stefan Franzke ungezwungen auszutauschen, was auch rege angenommen wurde.

Das Goddard Space Flight Center

Die meisten Leute denken bei NASA an das Kennedy Space Center in Florida, wo die spektakulären Starts für schöne Bilder sorgen. Dabei haben die Satelliten vorher viele Jahre in Greenbelt, MD, verbracht, wo sie entwickelt, gebaut und getestet werden. Das ist die Aufgabe des Goddard Space Flight Centers (GSFC), wo etwa 10.000 Angestellte für die NASA arbeiten. Kurz gesagt ist das GSFC die größte Organisation von Wissenschaftlern und Ingenieuren in den Vereinigten Staaten, die sich der Erforschung der Erde, des Sonnensystems und des Universums durch Beobachtungen aus dem Weltraum widmet. Missionen wie Hubble oder das James Webb Teleskop wurden hier gebaut und getestet. Entsprechend faszinierend war die Tour durch die Anlage. Davor gab es eine Einführung in die Quantenaktivitäten der NASA und einen Ausflug zu einem kleinen Teleskop für die Laserkommunikation mit Satelliten etwas außerhalb des Hauptkomplexes.

Aber der Hauptkomplex mit seinen Anlagen wäre allein eine Reise wert gewesen – es ist eine Anlage der Superlative. Zum Beispiel die große Zentrifuge für Beschleunigungstests: Dieser Stahlkoloss in einer separaten Halle rotiert mit bis zu 38 Umdrehungen pro Minute. Das Ende des Stahlgerüsts bewegt sich dann mit 200 mph (320 kmh) und die Radialbeschleunigung beträgt bis zu 30 g. Ein paar Schritte weiter steht eine Vakuumkammer mit 15 m Höhe und 9 m Durchmesser. Beim Rundgang passiert der Besucher riesige Tore und sieht durch die Fenster, wie die nächste Satellitengeneration montiert wird. Am Ende der Tour kam der Blick in den, wie die NASA sagt (Link), größten Reinstraum der Welt. In der Halle (38 m lang, 30 m breit und 27 m hoch) wurde unter anderem das Team trainiert, dass mit dem Space Shuttle das Hubble Teleskop repariert hat (Mission STS-103).

Aktuell wird dort das Nancy Grace Roman Space Teleskop aufgebaut. Benannt nach der ehemaligen Chefastronomin der NASA, soll es 100-mal mehr sehen als das Hubble Teleskop. Der Start ist laut Wikipedia für 2027 vorgesehen. Mit seinem 2,4 m Spiegelteleskop soll es die Ausdehnung und die Zusammensetzung des Universums weiter erkunden. Ein spezieller Coronagraph soll die direkte Beobachtung von Exoplaneten ermöglichen.

In der deutschen Botschaft in Washington

Ein Besuch in der deutschen Botschaft ist für alle, die nicht im Auswärtigen Amt arbeiten, schon etwas Besonderes. Die Feier zur deutschen Einheit in der Residenz des deutschen Botschafters zu erleben, ist noch spezieller. Mit etwa 2.000 Gästen war es recht voll, aber die Delegation konnte zwischen Militärs und Diplomaten verschiedenster Länder auch ganz normale Amerikaner treffen. Dazu gab es Musik von einem Orchester der Bundeswehr sowie deiner Band der U.S. Air Force. Das Catering spiegelte verschiedene deutsche Traditionen wider – die Berliner Currywurst durfte dabei nicht fehlen.

Mindestens genauso interessant war der nächste Abend im Botschaftsgebäude. Dort konnten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Delegation noch einmal ihren Pitch veranstalten, dieses Mal vor über hundert geladenen Gästen der Botschaft. Die Themen reichten dabei von großen Instituten wie dem Fraunhofer HHI über startups und etablierte Firmen bis zu Anbietern von Dienstleistungen für die Hightech-Branche. Die anschließenden Gespräche waren entsprechend angeregt und intensiv.

Last but not least: IonQ

Am Freitag fuhr die Delegation mit ihrem schwarzen Tourbus wieder in das grüne Umland von Washington. Ziel war der Ort College Park, wo neben der University of Maryland auch die Firma IonQ ihr Hauptquartier hat. Sie zu besuchen war auch für die Profis aus der Quantencommunity ein Highlight. Denn IonQ baut und betreibt Quantencomputer in industriellem Maßstab.

IonQ war 2015 von Chris Monroe und Jungsang Kim gegründet worden, um Quantencomputer mit ultrakalten Ionen aus dem Labor in die Praxis zu holen. Nach einigen Finanzierungsrunden konnte IonQ im Oktober 2021 an die New Yorker Börse gehen. Mit dem Geld wurden die Standorte in College Park und in Seattle auf- und ausgebaut. Die Geschichte und die Technologie erklärte Firmengründer und CTO Jungsang Kim der Delegation persönlich. Fazit: Sie arbeiten aggressiv, um Größe und Preis ihrer Systeme schnell und massiv zu reduzieren.

Der aktuelle CEO und President Peter Chapman kam spontan dazu und präsentierte stolz das Herz des aktuellen Quantencomputers, eine Falle für 64 Ionen, die kleiner als eine Faust ist. Seiner Ansicht nach hat die Community noch fünf Jahre Zeit, um Quantencomputer und ihre Anwendungen auf ein professionelles Niveau zu bringen, sonst wird es mit der finanziellen Unterstützung eng. Erste Anwendungen wurden gezeigt, so trainiert der Quantencomputer zum Beispiel die Erkennung deutscher Straßenschilder. Eine auch für Menschen nicht immer leichte Aufgabe…

Danach ging es in die heiligen Hallen. Bei striktem Fotografierverbot durfte die Delegation die Fertigung besichtigen. Ganz nah an die großen schwarzen Schränke durften wir nicht, wobei die drei Vertreter von TOPTICA EAGLEYARD erfreut einen ihrer amerikanischen Kollegen begrüßten, der offenbar gerade mit Lasern der Firma aus München und Berlin bei IonQ beschäftigt war. Neben der Fertigung sind aber auch schon Quantencomputer im industriellen Einsatz "Hinter dieser Tür sitzen Leute, die Quantenjobs für Google, Amazon und Microsoft erledigen", erklärte Noam Zakay, Managing Director der IonQ GmbH, während des Rundgangs.

Beim anschließenden Besuch im benachbarten Quantum Catalyzer unter Führung seines Gründers Ronald Walsworth gab es noch einige spannende Anwendungen aus dem Bereich der Quantensensorik zu sehen.

 

Alles in allem war es eine unglaubliche Woche. Wir durften viele faszinierende Menschen kennenlernen und vor allem die Fäden des Berliner Quantum-Netzwerks enger knüpfen. Wer diese Reise mitgemacht hat, wird sich noch viele Jahre daran erinnern. Entsprechend herzlich war der Dank für die Organisation dieser Tour speziell an Dr. Katharina Witte, Gerrit Roessler, Markus Facklam und Franziska Ehrhardt von der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH.

 

Autor: Dr. Andreas Thoß, THOSS Media GmbH