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Die Landkarte der Quantenelektronik - Drastisch Energie sparen mit einem neuen Transistortyp aus Brandenburg

„In der Welt der Quanten gibt es alltägliche Wunder. Wir können in dieser Welt nicht leben, wir können sie nicht einmal in unserer Erfahrungswelt wahrnehmen oder verstehen. Aber wir können in sie eingreifen durch modernste technologische Lösungen und uns so die Wunder der Quantenwelt zunutze machen.“

Privatdozent Dr. Ulrich Wulf, Physiker an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU), forscht seit 25 Jahren über diese Welt. Die Grundlagenarbeit, die er dabei geleistet hat, vergleicht er mit der Kartographie. Die Welt der Quanten muss gezeichnet, die Zeichnungen immer wieder verbessert werden, nur dann kann der Mensch sich in dieser Welt zurechtfinden und radikale technische Fortschritte machen.

Patent erteilt

Für einen solchen radikalen Fortschritt hält Wulf zusammen mit Prof. Hans Richter und seinem ehemaligen Studenten Martin Reichenbach ein Patent mit dem Namen „Zweikanalhalbleiter-Bauelement“, seit Januar 2022 auch für die USA. Es ist ein nanoskaliges Bauelement, sprich es geht hier um winzige Strukturen unterhalb unserer Wahrnehmungsschwellen. Die zwei Kanäle des Transistors, der als winziger Schalter auf Chips eingesetzt werden kann, kommunizieren nach Gesetzen der Quantenwelt. Es werden keine Teilchen transportiert, sondern durch minimale Eingriffe Wellenphänomene gesteuert. Die Kanäle kennen zwei Zustände, sie sind in Resonanz oder nicht. Durch die feinste Abstimmbarkeit dieser Resonanz sinkt der Energieverbrauch des neuen Transistortyps auf ein Zehntausendstel gegenüber herkömmlichen Transistoren. Drastisches Energiesparen, ermöglicht durch Nanostrukturen und Quantenelektronik.

Energiesparer statt Energiefresser

Transistoren bilden die wichtigsten Bausteine elektronischer Schaltungen. Chips sind überall im Einsatz und verbrauchen zu viel Energie. Dass große Speicherfarmen für Daten auch gigantische Energiefresser sind, wird heftig kritisiert. „Unser neuer Transistortyp ist so sparsam in seinem Energieverbrauch, dass er zum Beispiel für medizintechnische Produkte, die in menschliche Körper eingesetzt werden, nutzbar wäre. Sie könnten dann allein mit der ohnehin vorhandenen Körperenergie ‚betrieben‘ werden“, erläutert Richter. Richter, ebenfalls Physiker, gründete 1999 das „IHP / BTU Joint Lab“, eine gemeinsame Einrichtung des Leibniz-Institut für Mikroelektronik in Frankfurt/Oder und der BTU. Damals begann die Zusammenarbeit zwischen Richter und Wulf. Im Joint Lab wurde erstmals in Brandenburg Quantenelektronik in reale Technologie überführt.

Richter steuert in der Folge immer wieder Kontakte in die internationale Forschung und Industrie bei. Dabei hilft auch seine Rolle als Gründungsmitglied und aktuell als Vorstand des GFWW Gesellschaft zur Förderung von Wissenschaft und Wirtschaft e. V. Der Verein, in den letzten drei Jahren vom Land durch eine GRW-Netzwerkförderung unterstützt, lebt die Vision, dass Brandenburg alles hat, um ein Zentrum für Zukunftstechnologien zu sein. „Wir sind in Europa und auch speziell in Brandenburg weit vorne, was Forschung im Bereich der Mikroelektronik angeht. Aber wir sind schlechter als beispielsweise die USA oder manche Ländern Asiens darin, die Forschung in Produkte zu überführen. Es gibt in Europa noch keine Fabrik, die Chips unter 20 Nanometer fertigen kann, wir sind hier gegenüber den Vorreitern in Übersee 15 Jahre zurück“, erläutert Richter.

Arbeit an den Prototypen

Die gemeinsame, patentierte Erfindung soll dieses Schicksal nicht teilen. Im Moment gibt es zwei Kooperationen, die den Ansatz aus der Theorie in die Praxis überführen sollen, zunächst in Form von Prototypen. Die Zusammenarbeit mit der renommierten ETH Zürich datiert auf den Herbst 2021. Mit den Forschungskollegen arbeite man flexibel und kollegial zusammen, erläutern die beiden Physiker. Was in dieser Kollaboration entstehe, soll dann in die schon länger laufende Zusammenarbeit mit GlobalFoundries in Dresden einfließen, das größte Halbleiterwerk in Europa. 

Die Ambitionen von Richter und Wulf gehen weiter. Dass in Cottbus schon heute die „Landkarte“ der Quantenwelt mit gezeichnet wird, sei zu wenig bekannt, trotz aller Vorlesungen, Promotionsarbeiten, internationalen Vorträge und sonstigen Aktivitäten rund um das Thema. Brandenburg sehe sich kommunikativ bisweilen noch im Schatten von Sachsen, das sich mit dem Branding des „Silicon Saxony“ in der Welt präsentiert, und zu wenig als potenzieller Partner für die sächsische Region. Aber in der letzten Zeit dreht sich der Wind. Es hat, so Richter, ganz handfest damit begonnen, dass Dr. Anne Techen, Clustermanagerin Optik und Photonik bei der Wirtschaftsförderung Brandenburg, sich dafür stark gemacht hat, dass Siliziumelektronik im Cluster eine Rolle spielt. Das hohe Niveau von Forschung und Lehre, das zum Thema an der BTU existiert, muss, so Wulf, viel stärker im Cluster, in der Region und auch international kommuniziert werden: „Ich sehe eine große Chance, dass wir in Brandenburg ein führender Standort für Software im Bereich der Quantenelektronik werden. Das Wissen ist da. Aber es braucht mehr, es braucht auch die Menschen, die einen Zugang zu den Themen haben und an die Möglichkeiten in der Region glauben.“

Silicon Brandenburg

Also gehen die beiden Physiker mit ihrem Thema konsequent an die Öffentlichkeit. Was nicht ganz einfach ist, denn die Welt der Quanten, betont Wulf, sei so komplex, dass der Mensch sie eigentlich nicht verstehen könne. Wir begriffen, so der Physiker, unser Leben nur deswegen in Raum und Zeit, weil vom Innersten, also der Quantenwelt, bis zu der Welt, die wir durch unsere Sinne wahrnähmen, eine unablässige Vereinfachung stattfinde. Aber wer sich auf den schwierigen Weg der Quantenelektronik macht, wer bereit ist, sich mit dem Unverständlichen zu konfrontieren, der kann uns allen die „alltäglichen Wunder“ der Quantenwelt nutzbar machen und ganz praktisch dafür sorgen, dass wir das Handy nur noch einmal im Monat (oder gar im Jahr?) aufladen müssen.

Kurzporträts

Hon. Prof. Dr. sc. Techn. Dr. Ing. Hans Richter

Hans Richter studierte und promovierte an der TU Magdeburg und ging 1971 an die Akademie der Wissenschaften, wo er maßgeblichen Anteil daran hatte, dass sich das IHP Frankfurt/Oder zu einem international beachteten Forschungsinstitut entwickelte. 1988 habilitierte er zu Halbleitertechnologie an der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Er war von 1991 bis 2005 Abteilungsleiter am IHP Leibniz-Institut für Mikroelektronik in Frankfurt/Oder. Von 1999 bis 2005 war er Direktor des IHP / BTU Joint Lab in Cottbus, dass er auch gegründet hat. Seit 2005 ist er Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung von Wissenschaft und Wirtschaft – GFWW- e. V.

PD Dr. rer. nat. habil. Ulrich Wulf

Ulrich Wulf studierte 1980 bis 1987 an der Universität Hamburg das Fach Physik. In den Jahren 1987 bis 1991 promovierte er am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, Stuttgart, in der Gruppe des Nobelpreisträgers Prof. Dr. K. v. Klitzing. Es schloss sich 1993 bis 1994 ein Postdoktorandenaufenthalt an der Indiana State University, Bloomington, Indiana, U.S.A. an. Hier lernte Ulrich Wulf die theoretischen Grundlagen zur Beschreibung von binär arbeitenden Quantensystemen. Seit 1993 ist Wulf an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus/Senftenberg angestellt und arbeitet an der Umsetzung dieser theoretischen Grundlagen für die Berechnung von industriellen Nanotransistoren mit modernen Bauelementarchitekturen.
 

 

Kontakt

Hon. Prof. Dr. sc. Techn. Dr. Ing. Hans Richter
Tel.: 0335 55 40 80 23
E-Mail

PD Dr. rer. nat. habil. Ulrich Wulf
Tel.: 0355 69 3163
E-Mail

 

Hon. Prof. Dr. sc. Techn. Dr. Ing. Hans Richter

„Unser neuer Transistortyp ist so sparsam in seinem Energieverbrauch, dass er zum Beispiel für medizintechnische Produkte, die in menschliche Körper eingesetzt werden, nutzbar wäre. Sie könnten dann allein mit der ohnehin vorhandenen Körperenergie 'betrieben' werden.“



PD Dr. rer. nat. habil. Ulrich Wulf

„Ich sehe eine große Chance, dass wir in Brandenburg ein führender Standort für Software im Bereich der Quantenelektronik werden. Das Wissen ist da. Aber es braucht mehr, es braucht auch die Menschen, die einen Zugang zu den Themen haben und an die Möglichkeiten in der Region glauben.“