Interview mit Prof. Dr. Harald Schenk: Innovationscampus für Mikrosensorik – eine einmalige Chance
Kurzporträt
Der Innovationscampus für Mikrosensorik wird im November dieses Jahres an den Start gehen. Er bündelt die Kompetenzen von insgesamt fünf Partnern. Neben der Brandenburgischen Technischen Universität BTU Cottbus – Senftenberg sind die beiden Fraunhofer-Institute IPMS für Photonische Mikrosysteme in Dresden und IZM für Zuverlässigkeit und Mikrointegration in Berlin sowie die Leibniz-Institute IHP für innovative Mikroelektronik in Frankfurt (Oder) und FBH für Höchstfrequenztechnik in Berlin Teil des Konsortiums. Prof. Dr. Harald Schenk geht davon aus, dass in naher Zukunft rund 45 Wissenschaftler und Forscher an Projekten des Innovationscampus arbeiten werden. Erste Neueinstellungen laufen schon. Ziel ist es, mit anwendungsnaher Forschung Hochtechnologien für die brandenburgische Wirtschaft zugänglich zu machen. In den ersten 26 Monaten seines Bestehens wird der Innovationscampus mit insgesamt 7,5 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm des Bundes für den Strukturwandel nach dem geplanten Kohleausstieg gefördert.
Interview
optiMST: Vier Forschungsinstitute und eine Universität, die ihre Kräfte in einem Innovationscampus bündeln – wann hat es so etwas schon mal gegeben?
Prof. Dr. Harald Schenk: Für das Land Brandenburg ist das definitiv neu. Das Vorhaben für einen Innovationscampus für Mikrosensorik haben alle Beteiligten dem Land bereits im November des vergangenen Jahres vorgestellt. Schon damals wurde das Potenzial eines solchen Konsortiums erkannt und es wurde uns Förderung in Aussicht gestellt. Jetzt – mit dem Sofortprogramm des Bundes für den Strukturwandel – hat unser Projekt die höchste Priorisierung erhalten. Wir legen noch im November dieses Jahres los und können bis Ende 2021 mit einem Projektvolumen von 7,5 Millionen Euro rechnen. Auch für die Zeit danach haben wir klare Signale vom Land Brandenburg, dass die Aktivitäten des Innovationscampus weiterhin unterstützt werden sollen. Der Campus ist eine einmalige Chance und wird an der BTU Cottbus – Senftenberg auch als solche erkannt.
optiMST: Was soll der Innovationscampus für Mikrosensorik bewirken?
Prof. Dr. Harald Schenk: Er soll unter anderem dazu beitragen, dass brandenburgische Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. Die Digitalisierung wird auch für kleine und mittlere Unternehmen immer wichtiger. Und Mikrosensoren sind wie die Sinnesorgane der Digitalisierung. Am Ende geht es immer darum, dass Roboter oder Maschinen mit ihrer Umgebung Kontakt aufnehmen und sie wiederum beeinflussen. Das geht nur mit Mikrosensoren. Wenn ich im Produktionsprozess die Temperatur kontrollieren will oder in der Landwirtschaft die Feuchtigkeit des Bodens messen will, brauche ich Mikrosensoren. Die Mikrosensorik ist ein Markt, der schon heute wahnsinnig groß ist und auch weiterhin extrem stark wächst. Denken Sie nur an die Handys. In jedem Handy finden Sie leicht zehn verschiedene Mikrosensoren. Jürgen Tittel, Manager von Sensor Dynamics, geht davon aus, dass in der nächsten Zeit der Bedarf an Mikrosensoren Jahr für Jahr um 35 Prozent steigen wird. 2007 wurden weltweit rund eine Milliarde Sensoren eingesetzt. Im Jahr 2030 sollen es 100 Billionen sein. Das sind einhunderttausend Milliarden!
Wir wissen, dass die Brandenburger Wirtschaft sehr kleinteilig strukturiert ist und sich die meisten Unternehmen keine eigene große Forschung und Entwicklung leisten können. Da kommen wir mit unseren anwendungsnahen Projekten ins Spiel. Wir bieten Lösungen aus der Hochtechnologie an, mit denen die Firmenlandschaft gestärkt und auch neue Beschäftigungsperspektiven eröffnet werden.
optiMST: In welchen Anwendungsbereichen der Mikrosensorik will der Innovationscampus aktiv werden?
Prof. Dr. Harald Schenk: Wir haben für unsere Arbeit verschiedene Themen identifiziert. Bei Lösungen für die industrielle Produktion 4.0 geht es zum Beispiel um die Vernetzung von Sensoren. Mit der Entwicklung von neuen sensorischen Systemen können Gefahrenpotenziale detektiert oder auch landwirtschaftliche Flächen aus der Luft überwacht werden. Es geht um Lösungen für das medizinische Monitoring von Patienten und für Ferndiagnosen. Wir wollen in den Bereichen autonomes Fahren, Smart Cities und Smart Living aktiv werden. Da können wir als Konsortium Angebote formulieren.
Der Markt der Mikrosensoren hat die Besonderheit, dass es für Standardelemente, wie sie beispielsweise in Smartphones genutzt werden, einige große Produzenten gibt. Wenn Firmen aber für ihren Bedarf maßgeschneiderte Lösungen brauchen, bekommen sie die nicht so ohne Weiteres. Stellen Sie sich eine Firma vor, die Doppel-T-Stahlträger produziert. Mit einem Dehnungssensor direkt am Produkt können mögliche Spannungsrisse noch während der Produktion detektiert werden. Aber dafür braucht man einen speziell angefertigten Sensor, der die Hitze eines rotglühenden heißen Stahlträgers toleriert.
optiMST: Haben Sie keine Sorge, dass in dem Konsortium aus fünf Top-Forschungseinrichtungen das gemeinsame Ziel von möglicher Konkurrenz überlagert wird?
Prof. Dr. Harald Schenk: Auf keinen Fall. Jeder der Partner hat ganz bestimmte Stärken, die sich gegenseitig ergänzen. Das IZM beispielsweise ist federführend bei der Integration von Hochfrequenzantennen zur Datenübertragung und Kommunikation zwischen Sensoren. Spezialität des FHB Ferdinand-Braun-Instituts für Höchstfrequenztechnik ist die System- und Anwendungsentwicklung, basierend auf sogenannter III-V-Technologie und der Heterointegration. Das IHP wiederum hat eine weltweit einzigartige siliziumbasierte Technologie für Hochfrequenzschaltungen, -sensoren und -quellen bis in den Terahertzbereich. Diese Strahlung agiert zerstörungsfrei, kann also perspektivisch auch sehr gut für medizinische Untersuchungen genutzt werden. Die zehn beteiligten Fachgebiete der BTU bringen ihre Forschungskompetenzen für neue Sensorprinzipien, für die Realisierung energieeffizienter vernetzter Sensorknoten oder zum Beispiel für die Entwicklung intelligenter Auswerte- und Steuerungsalgorithmen von Sensorsystemen ein. Die Stärken des IPMS schließlich sind hochminiaturisierte spektrale Sensoren, hochempfindliche Detektoren und weltweit einzigartige Nanoaktoren auf Siliziumbasis. Jeder Partner – und nur er – hat für seine Bereiche die passende technologische Ausstattung. Außerdem arbeiten die beteiligten Leibniz- und Fraunhofer-Institute bereits in der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland zusammen – in einem Konsortium von insgesamt 13 Forschungsinstituten.
optiMST: Wird der Innovationscampus ein eigenes Gelände auf dem BTU-Areal haben?
Prof. Dr. Harald Schenk: Es wird mittelfristig nicht so etwas wie einen Neubau geben. Der Campus wird vorhandene Infrastruktur an beziehungsweise in direkter Umgebung zur BTU in Cottbus nutzen. Die Verbindung zwischen der BTU und den außeruniversitären Partnern besteht oder wird ausgebaut über Joint Labs sowie über gemeinsame Berufung von Professoren. 40 bis 45 Wissenschaftler werden im Rahmen des Innovationscampus für Elektronik und Mikrosensorik arbeiten. Dafür werden zum Teil auch neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingestellt. Unsere Ausschreibungen laufen bereits. Allein an der BTU werden 19 neue Mitarbeiter eingestellt. Vor Kurzem erst konnte ich einen neuen Innovationsmanager einstellen, der aus der Region stammt, aber lange Zeit außerhalb von Brandenburg gearbeitet hat. Durch den Campus ist er wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Wir hoffen noch auf viele weitere Bewerbungen.
optiMST: Wie werden Sie die Kontakte zur Wirtschaft knüpfen?
Prof. Dr. Harald Schenk: Alle Partner des Konsortiums sind gut in der Region und auch darüber hinaus vernetzt. Sie bringen ihre Kontakte in das gemeinsame Projekt ein. Wir planen für Mitte November eine Auftaktveranstaltung, auf der wir den Innovationscampus und seine Angebote vorstellen werden. Dazu sind dann auch Vertreter der Wirtschaft und von Verbänden eingeladen. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit dem InnovationHub 13. Hier bauen die BTU und die TH Wildau Transferstrukturen in Brandenburg auf. Innovationscampus und InnovationHub ergänzen sich hervorragend.
optiMST: Wo wird die Startveranstaltung stattfinden?
Prof. Dr. Harald Schenk: In Cottbus natürlich. Wo denn sonst? Schließlich geht es darum, diesen Standort und diese Region zu stärken. Ich weiß, es liegt ein langer Weg vor uns. Aber wenn die Kunden, also die Wirtschaft, ihren Bedarf und unsere Angebote sehen, werden sie zu uns kommen.
Dieses Interview führte Dr. Ute Sommer (havelcom concept).
Zur Person
Harald Schenk, Jahrgang 1971, hat in Würzburg Physik studiert. 1997 ging er nach Dresden und reichte schon zweieinhalb Jahre später seine Dissertation im Fachgebiet Elektrotechnik (Fokus: Mikrosystemtechnik) ein. Am Dresdener Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS übernahm er 2002 die Leitung der Abteilung „Mikroaktuator Systeme und Technologie“. 2004 wurde er stellvertretender Institutsleiter. 2012 brachte er die Projektgruppe MESYS an den Start und hat seither auch die Professur für Mikro- und Nanosysteme an der Brandenburgischen Technischen Universität BTU Cottbus – Senftenberg inne. Prof. Dr.-Ing. Dr. rer. nat. habil. Harald Schenk leitet seit 2013 gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Hubert Lakner das IPMS in Dresden.
Kontakt
Prof. Dr. Harald Schenk
Brandenburgische Technische Universität BTU Cottbus – Senftenberg
Fakultät 1
Fachgebiet Mikro- und Nanosysteme
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